Dienstag, Januar 30, 2007

Der hungrige Kaftan

In seinem bescheidenen, einfachen Alltagsgewand war ein Mullah zu dem Fest eines angesehenen Mitbürgers gegangen.

Um ihn herum glänzte die schönste Garderobe aus Seide und Samt. Geringschätzig musterten die anderen Gäste seine dürftige Kleidung.

Man schnitt ihn, rümpfte die Nase und drängte ihn fort von den herrlichen Speisen des kalten Büffets.

Geschwind eilte der Mullah nach Hause, zog seinen schönsten Kaftan an und kam zurück auf das Fest, würdiger als einer der Kalifen.

Welche Mühe gab man sich nun um ihn! Jeder versuchte, mit ihm ins Gespräch zu kommen oder wenigstens eines seiner weisen Worte zu erhaschen. Es schien, als sei nun das kalte Büffet für ihn allein gedacht. Von allen Seiten bot man ihm die schmackhaftesten Speisen an.

Doch was machte der Mullah? Statt Sie zu essen, stopfte er sie in die weiten Ärmel seines Kaftans. Genauso schockiert wie interessiert bestürmten ihn die anderen mit der Frage: "Oh Herr, was machst Du denn da? Warum ißt Du nicht, was wir Dir anbieten?"

Der Mullah fütterte weiterhin seinen Kaftan und antwortete gelassen: "Ich bin ein gerechter Mensch, und wenn wir ehrlich sind, gilt Eure Gastfreundschaft nicht mir, sondern meinem Kaftan. Und der soll nun erhalten, was er verdient."

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Donnerstag, Januar 18, 2007

Wie die Freundschaft zwischen Mensch und Hund entstand

Als der große Manitou die Welt und alle Lebewesen geschaffen hatte, beschloß er eines Tages Menschen und Tiere voneinander zu trennen.
Er rief alle Lebewesen auf einem großen Plateau zusammen und befahl der Erde sich zu teilen. So entstand ein immer breiter werdender, unendlich tiefer Spalt auf deren einer Seite die Menschen standen und auf der anderen Seite die Tiere. Immer breiter und tiefer wurde die Erdspalte.

Im allerletzten Moment, kurz bevor der Spalt zu groß geworden wäre, nahm der Hund Anlauf, sprang über den Graben und stellte sich neben den Menschen.
So begann die Freundschaft zwischen Mensch und Hund.

Dieser indianischen Sage nach, ist auf diese Art und Weise auch der Grand Canyon entstanden.

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Donnerstag, Januar 04, 2007

Der verlorene Tag

Kaiser Titus speiste gerne mit seinen Beratern und Freunden zu Abend.

Dieses Mal gab es gesottene Tauben in Weißwein, und es herrschte wie immer am römischen Kaiserhof eine prächtige Laune.

Plötzlich aber hob der Imperator die rechte Hand zum Zeichen der Ruhe und sagte, so wie jemand spricht, dem plötzlich etwas Wichtiges einfällt:

"Amici, diem perdidi. (Freunde, ich haben einen Tag verloren.)
Ich habe heute noch niemandem Gutes getan."

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Dienstag, Januar 02, 2007

Über die Meditation

Wenn ich Meditation lehre, beginne ich oft mit den Worten: "Bring deinen Geist heim - laß los - und entspanne dich."
Damit sind die drei wesentlichen Punkte jeder Meditation angesprochen. In jeder dieser Phasen klingen verschiedenste Bedeutungsebenen an.
Den Geist heimbringen bedeutet, ihn durch die Praxis der Achtsamkeit in den Zustand "Ruhigen Verweilens" zu versetzen. Im tiefsten Sinne bedeutet den Geist heimbringen, ihn nach innen zu wenden und in der Natur des Geistes zu ruhen. Das ist die höchste Form der Meditation.

Loslassen bedeutet, den Geist aus dem Gefängnis des Greifens zu befreien, weil man erkannt hat, dass alle Angst und Verzweiflung der Begierde des greifenden Geistes entpringen. Auf einer tieferen Ebene inspirieren die Erkenntnis und Gewißheit, die aus dem wachsamen Verständnis der Natur des Geistes entstehen, eine tiefe und natürliche Großzügigkeit, die es einem ermöglicht, alles Greifen vom Herzen her zu lösen, es sich selbst befreien und einfach in der Atmosphäre der Meditation hinwegschmelzen zu lassen.

Sich entspannen schließlich bedeutet, weitherzig zu sein und die Verkrampftheit des Geistes zu lockern. Im tieferen Sinne entspannt man sich in die wahre Natur des Geistes, in den Zustand von Rigpa auf der Grundlage von Rigpa - so als würde man eine Handvoll Sand auf eine ebene Fläche schütten, auf der jedes Körnchen ganz von selbst zur Ruhe kommt.

(Aus: Funken der Erleuchtung von Sogyal Rinpoche, Fischer-Verlag)

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